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Mein Ein und Alles | von Gabriel Tallent

 

»Turtle ist eine Figur, die dem Leser lange im Gedächtnis bleibt.« Booklist

 

Rezensionsexemplar | Mein Ein und Alles
Autor: Gabriel Tallent | aus dem Amerikanischen von Stephan Kleiner
Penguin Verlag | 480 Seiten | erschienen am 24. September 2018
gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag & Lesebändchen

| Gegenwartsliteratur | Heranwachsen | Misshandlung | Gewalt |
| eigene Altersempfehlung: Geeignet für Leser ab 18 Jahre |

Leseprobe: »Bei Randomhouse« || Ansehen & Kaufoption: »Bei Randomhouse/Penguin Verlag«


Inhalt
Dieser Roman über ein junges Mädchen hat Amerikas Leserschaft überwältigt und gespalten. Denn Turtle Alveston, so verletzlich wie stark, ist eine der unvergesslichsten Heldinnen der zeitgenössischen Literatur. Sie wächst weltabgeschieden in den nordkalifornischen Wäldern auf, wo sie jede Pflanze und jede Kreatur kennt. Auf tagelangen Streifzügen in der Natur sucht sie Zuflucht vor der besitzergreifenden Liebe ihres charismatischen und schwer gestörten Vaters. Erst als sie ihren Mitschüler Jacob näher kennenlernt und wahre Freundschaft erfährt, beginnt die Befreiung aus seinen Klauen. Gabriel Tallents Debut ist von eindringlicher Wucht und zugleich Zartheit, eine neue Stimme, die niemanden kalt lässt. 

Quelle: Bloggerportal (www.blogger.randomhouse.de)

 

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Meinung 

Als das Buch 2018 im Penguin Verlag erschien, spaltete es daraufhin weitestgehend die Leserschaft und die Meinungen derer gingen und gehen immer noch in die unterschiedlichsten Richtungen aufgrund der Thematiken, die hier behandelt werden: Gewalt und psychische sowie physische Misshandlung von Kindern, einhergehend mit einem derben Schreibstil. Eine Triggerwarnung zu Beginn des Buches wäre hier definitiv angebracht gewesen (denn diese ist nicht vorhanden!), sodass ich euch hiermit gewarnt habe: Lest nicht dieses Buch, wenn euch die oben genannten Themen triggern. Es hat Leser an ihre Grenzen getrieben und erschüttert. Genau deshalb wollte ich die Geschichte der 14-jährigen Julia, auch Turtle genannt, selbst entdecken. Ich erwartete ein Buch, welches mich herausfordert, an meine literarischen Grenzen bringt, bewegt und letztens Endes schockiert und fassungslos zurück lässt. Und ich kann euch schonmal soviel verraten, dass die Geschichte nicht in irgendeiner kitschigen und klischeehaften 0-8-15 Story endet.
Der Schauplatz von Gabriel Tallents viel diskutiertem Debütroman ist Kalifornien, um genauer zu sein Mendocino.
Turtle verlor bereits in früher Kindheit ihre Mutter bei einem schrecklichen Unfall und so bewohnt sie mit ihrem obsessiven Vater Martin, inmitten von Redwoodbäumen, eine kleine, von der restlichen Kleinstadt abgeschiedene, Hütte. Nebenan wohnen ihr Grandpa und dessen Hündin Rosy in einem heruntergekommenen Wohnwagen. Außer diese zwei bzw. drei Individuen (wenn man Rosy mitzählt) hat Turtle kaum soziale Kontakte, obwohl sie wie alle anderen Teenager zur Schule geht.
Die Lebensumstände, unter denen Turtle haust (denn „leben“ möchte ich das nicht nennen), sind alles andere als einfach oder angenehm. Sie wächst in einer Art und Weise auf, wie ein 14-jähriges Kind definitiv nicht aufwachsen sollte. Martin ist der festen Überzeugung, dass er Turtle mit seiner unglaublich harten, abartigen und extremen Erziehung einen Gefallen tut und sie damit auf die grausame Welt und den, seiner Meinung nach, bevorstehenden Weltuntergang vorbereitet.
Zwar lassen Turtles soziale sowie schulische Leitungen mehr als zu wünschen übrig, aber mit einer Sache kennt sie sich exzellent aus: Waffen. Denn Schießübungen mit den unterschiedlichsten Waffentypen stehen in Martins Erziehungsmaßnahmen genauso an der Tagesordnung wie psychische sowie physische Misshandlung an der eigenen Tochter.
Doch als Jacob in Turtles Leben tritt entwickelt sie langsam eine Ambivalenz gegenüber Martin und sie muss feststellen, dass Freundschaft und Liebe auch anders funktionieren können und nicht mit der für sie bisher bekannten Gewalt verbunden sein müssen.
Mit Julia Alveston aka Turtle hat Tallent eine Protagonistin geschaffen, die zwar auf der einen Seite eine kleine Heldin mit poetisch, assoziativer Intelligenz ist, im Grunde aber alles andere als einen liebenswürdigen und sympathischen Eindruck auf mich hinterlässt. Auch wenn ich mich in gewissen Situationen in sie hineinversetzen konnte, warum sie z.B. trotz der ganzen sexuellen Misshandlungen so lang bei ihrem Vater geblieben ist, obwohl sie doch eine kleine Überlebenskämpferin ist und mit mehr Selbstbewusstsein und Hilfe (die ihr praktisch vor die Füße geworfen, aber nicht von ihr angenommen wurde) den Absprung in eine bessere Zukunft sicherlich geschafft hätte. Turtle und Martin sind für den jeweils anderen eben sein Ein und Alles.
Spoiler (einfach markieren, wenn ihr dies lesen möchtet): Aber Vorsicht, liebe Leute! Denn Turtle ist nicht so unscheinbar und unschuldig, wie es zunächst den Anschein macht. 
Was Martin betrifft muss ich gestehen, dass ich ihn trotz seiner seltsamen, und verkehrten Lebensauffassung nicht zu 100% hassen und verabscheuen konnte. Man spürt beim Lesen, dass er weiß, dass diese Dinge falsch sind, die er seiner Tochter antut, er aber auch nicht anders kann. Dass er innerlich einen Kampf mit sich selbst austragen muss, überaus sensibel ist und auch kein Sadist ist. Der Autor bringt viele philosophische Dinge zur Sprache, die Martin, trotz seiner schlimme Dinge, die er Turtle antut, auf eine Art sympathisch macht und das ist, was mir beim Lesen selbst Angst gemacht hat. Dass man dessen Vaterrolle in gewissen Situationen selbst ausgeblendet hat, denn es gibt in diesem Buch auch Momente, wo man als Leser dem Charme von Martin in gewisser Weise erliegt. Und dann muss man sich selbst erstmal wieder wachrütteln und sich dran erinnern, dass das grad ihr Vater ist und nicht irgendein Mann. Dadurch lernt man, dass man die unterschiedlichsten Dinge immer aus einem anderen Blickwinkel betrachten sollte. Dass man einen fiktionalen Charakter, trotz der schlimmen Dinge, die er tut, dennoch sympathisch finden kann und einen immer wieder dran erinnert, dass auch eben diese Figur ein Mensch wie jeder andere ist, der gute und schlechte Seiten an sich hat.
Ich empfehle euch vor dem Kauf des Buches auf jeden Fall die Leseprobe. Denn den auktorialen Schreibstil würde ich schon als anspruchsvoll und sehr speziell bezeichnen und hat mir persönlich den Einstieg und den Zugang zum Buch nicht leicht gemacht. Die Sätze sind unglaublich lang, teilweise ein Satz über eine halbe Seite, und oft musste ich manche Stellen zweimal lesen, weil mich das schon sehr herausgefordert hat. Man muss auch dazu sagen, dass Tallents Schreibstil sehr detailreich ist und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich nun um gefühlt endlos lange Naturbeschreibungen wie Tier- oder Pflanzenarten handelt (Google war mein bester Freund während des Leseprozesses, weil ich gefühlt alles nachschauen musste xD) oder um die Vater-Tochter-Beziehung, wo keine Grausamkeit ausgelassen wird und einem an die eigene Substanz gehen kann. „Leider“ trat dieser Fall für mich nur ein einziges Mal ein und zwar ziemlich am Anfang. Alle anderen Gewaltszenen haben mich zwar erschrocken, aber doch eher kalt gelassen und nicht in dem Maße schockiert wie ich es aus den bisherigen Rezensionen erwartet habe. Ich habe auf diese von anderen Lesern besagten schlimmen Szenen regelrecht gewartet. Sie aber nicht bekommen. Vielleicht waren meine Erwartungen da einfach etwas zu hoch.
Dennoch fängt die Erzählweise des Autors sehr gut die düstere und bedrückende Harmonie, sowie die fremdartigen Gedanken von Turtle ein.
Man sollte sich auf jeden Fall auf diesen sehr extravaganten Schreibstil mit einhergehender wilder, derber Sprache einlassen können, denn dies macht den Großteil des Buches einfach aus und ist eben die Sichtweise, wie Turtle die Welt, ihre Umgebung und Mitmenschen wahrnimmt.
Etwas leichter fiel es mir, als ich anfing das Hörbuch beim Lesen zu hören. Wenn Anna Thalbach, die Sprecherin, nicht wäre, hätte ich das Buch wahrscheinlich immer noch nicht beendet xD.

 

Fazit

Der Debütroman ‘Mein Ein und Alles’ von Gabriel Tallent ist nichts für schwache Nerven und hat es wirklich in sich.
Wer beim Lesen eine wirklich extreme Art der Grenzerfahrung möchte, sollte zu diesem Roman greifen. Bedingungslose Liebe und abgrundtiefer Hass zwischen Vater und Tochter prallen hier aufeinander und zeigen dem Leser die Tiefen seiner eigenen Seele und den Reiz des Bösen, welches in jedem von uns Menschen schlummert.
Der Effekt des Entsetzens oder der Fassungslosigkeit, welche bei der Mehrheit der Leser dieses Buches aufgetreten ist, hat sich bei mir allerdings in Grenzen gehalten.
Es ist trotzdem ein intensives Leseerlebnis und wird euch zum Nachdenken bringen, gerade wenn du an den Punkt kommst, wo du eventuell anfängst, Turtle zu verstehen und dich selber fragst: „Was ist eigentlich grad falsch mit dir?“.

Ich bin also nicht völlig begeistert von der Geschichte, aber kalt gelassen hat sie mich definitiv ebenso wenig. Und ein Autor muss es erstmal schaffen, seine Leser in solch einen Zwiespalt der eigenen Emotionen zu bringen, dass er in dem Punkt meinen Respekt verdient.
Dennoch kann und möchte ich nur eine bedingte Leseempfehlung aussprechen, denn jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er zu dieser Thematik, deren Dunkelziffer nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt, sehr sehr hoch und Realität ist, lesen möchte.

 

 

©
Foto: Stella Reads
Cover: Penguin Verlag

Dieses Rezensionsexemplar wurde mir vom Bloggerportal in Zusammenarbeit mit dem Penguin Verlag kostenlos zur Verfügung gestellt.
Vielen Dank an dieser Stelle an das Team vom Bloggerportal!
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